
Morgenyoga. Aufwärmübungen, mobilisieren, atmen, dehnen, kräftigen. Volle Lebensfreude in jedem Atemzug entdecken. In der kurzen Entspannungsphase zwischen zwei Übungen überrollen mich längst vergessene Bilder aus meiner Kindheit.
Das Dachgeschoss bei Oma. Der magische Ort von brotherhood and sisterhood. Eine Schatzinsel für meine Schwester, meine Cousinen und mich. Kleine Parfumfläschchen mit orientalischen Düften- Patchouli, Sandelholz, Jasmin. Der Geruch der fernen Welt. Vergilbte Postkarten. Räucherstäbchen. Feinst gearbeitete, hözerne Schmuckkästchen mit liebevoll geschnitzten Einlegearbeiten, die genügend Schmuck für eine Königsfamilie beinhalten. Halbedelsteine, Silber, Sandelholz, Rosenholz, kunstvolle Miniaturschnitzereien in Form von Elefanten oder indischen Göttern. Wie oft haben wir uns mit all diesen Schätzen geschmückt, sie von hierhin nach dorthin verlagert. Haben diese Düfte unser Spiel begleitet.
Mit allen Sinnen
Ich bemühe mich wieder, einzutauchen in die Union zwischen Bewegung, Atmung und präsenter Lebensfreude. Mit sonorer, sicherer Stimme gibt der Yogalehrer Anweisungen. Die beiden Onkels mit wallendem Haar und indischem Moustache. Das Lachen und der kecke Nasenring der Tante und die Freude über die beiden Cousinen. Immer mal ein bisschen zuhause und dann lange weg.
Bilder lösen sich gegenseitig ab. Selbstgeschneiderte Sitzsäcke aus indischen Stoffen, indische Hosen und Kleider, mit kleinen glänzenden Spiegelchen darin. Teppiche. Legendäre Fotos von unfassbaren Kleidungen, Haarlängen, Abschieds- und Ankunftsszenen. Und immer dieses Flair der großen weiten Welt. Geheimnisvoll. Faszinierend. Geschichten und Schilderungen, die in endlosen Stunden des Zusammenseins erzählt werden. Keine Details darüber, nur mehr Wortfetzen, Erinnerungsfetzen in einem sich etwas lichtenden Nebel.
¨Wherever you go. There you are.¨
Sudheeps Bauchmuskeltraining sucht seinesgleichen. Ohne volle Konzentration und genausolchen Einsatz kann man sofort zusammenpacken und fischen gehen. Aber mein Bauch gibt nach. Will weich sein. Die Verlassenheit unter meinen Fittichen ist gerührt. Weil sie gar nicht verlassen ist. Irgendwie, wie auch immer die Mächte hier gewirkt haben, hat es mich dorthin verschlagen, wo viele dieser Geschichten und Schilderungen damals entstanden sind. Netradevi, der sagenumwobene, selbstgebaute Segelkatamaran, auf dem Onkels und Tanten mit ihren Familien und auch wir oft unsere Ferien verbrachten - meist im Hafen liegend - ist hier entstanden, nur einen Steinwurf entfernt. Nach Fertigstellung wurde der lange Seeweg nach Italien angetreten. Oma, die mit leuchtenden Augen von dem Fischerdorf Ullal erzählt. Vom köstlichen Chai, den Fischernetzen und den indischen Frauen.
Stück für Stück
Ich habe alle Distanzen zu diesen durch die vielen Geschichten und Erinnerungen eines Kindes bedeutend gewordenen Orte gegoogelt, aber es bleibt nicht genügend Zeit, sie aufzusuchen. Mein Fokus für diese Reise ist ein anderer.
Aber da ist ein unerwartetes Saatgut gelegt, das ganz still zu keimen begonnen hat. Und jetzt und hier haben sich wieder Puzzleteile meines Lebens zu einem größeren Verständnis zusammengefügt.
¨And now enjoy that beautiful feeling¨, sagt Soudheep, um die abschließende Meditation einzuleiten. Ja, genau das mach ich jetzt.
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Cornelia (Samstag, 06 Februar 2016 09:51)
... und ich komm nicht vom Sessel auf,obwohl ich schon seit 2 Tagen geistig Schwung hole für ein bissl Turnen Yoga etc. Übrigens :der Sandelholgeruch steigt mir in die Nase bei all diesen Erinnerungen.
gabriele (Samstag, 06 Februar 2016 22:03)
oh - es ist samstag abend und ich sitz mitten im faschingsverückten salzkammergut,
und erleb die weite welt so nah und echt bei mir mit deinen geschichten.
und das herrliche kribbeln in meinem bauch ist wieder da, weil alles möglich ist, das rad sich weiterdreht und dreht und dreht, und ich mit deinen worten den duft der kunterbunten vielfalt einatme und ....
ja! das leben ist wunderschön! danke.